Einleitung Inhalt FAQ Lernwortschatz




Inhalt



I Warum politische Führung so schwierig ist und was Kyros richtig machte


(1) Ausgangspunkt der gesamten Abhandlung ist die Beobachtung, wie instabil politische Verfassungen in der Regel sind. Sie werden durch die Anhänger verschiedener Verfassungen jeweils gestürzt: die Demokratie von Anhängern der Monarchie oder der Oligarchie und umgekehrt. Im Fall der Tyrannis kommt der Sturz dabei entweder sehr schnell, oder - wenn sich ein Tyrann erst einmal eine Weile an der Macht gehalten hat - es tritt eine Gewöhnung ein und dann zum Teil eine nachträgliche Glorifizierung des Tyrannen. Ein zentrales Problem politischer Herrschaft ist dabei die 'Haushaltsführung' im allgemeinen Sinn und das Management von Angestellten sowie die Führung von Menschen im Besonderen. (2) Im Tierreich werden (menschliche) Hirten dagegen problemlos anerkannt: Die Herden sind nach innen geschlossen, nach außen abweisend. (3) Somit ergibt sich der Schluss, dass Menschen leichter über andere Lebewesen herrschen können als über Menschen. Herrschaft ist somit als ein grundsätzliches Problem zu begreifen. Ein positives Gegenbeispiel ist Kyros der Perser, der in der Lage war, Herrschaft sogar aus der Ferne auszuüben. (4) Kyros war nämlich anders als andere Könige, z.B. der Skythen, Thraker, Europäer. (Es folgt ein historischer Abriss der Eroberungen durch Kyros und eine Liste der unterworfenen Völker.) (5) So stellt sich für ihn das ansonsten so schwerwiegende Problem unterschiedlicher Sprachen nicht; stattdessen kam - wegen seiner Autorität - niemand überhaupt nur auf den Gedanken, sich gegen ihn aufzulehnen. Die eroberten Gebiete folgten ihm freiwillig. (6) Es ist daher lohnend und notwendig, die Gründe für Kyros' Erfolge zu untersuchen. Dazu gehören sein 'background', seine Erziehung, aber auch seine Prägung und seine Fähigkeiten.



II Kyros' familärer Background und Grundzüge des persischen Erziehungssystems


(1) Kyros' Vater Kambyses stammte aus der Familie der Perseiden, die sich selbst als Nachfolger des Perseus betrachteten. Seine Mutter war Mandane, Tochter des medischen Königs Astyages. Kyros selbst war schön und menschenfreundlich zugleich, lernbegierig und ehrgeizig; er war leidensfähig und risikobereit. (2) Seine Erziehung erfolgte im Rahmen der persischen νόμοι, deren Prinzip das Gemeinwohl ist. Dies ist anderswo kaum der Fall, wo die Erziehung Privatsache ist. Denn wo die Erziehung Privatsache ist, gelten in der Regel nur einfache Vorschriften wie das Verbot von Diebstahl, Einbruch, Ehebruch usw. (3) Die persischen νόμοι in ihrer Ausrichtung auf das allgemeine Wohl ersticken solcherlei jedoch ohnehin im Keim. Und auch die Architektur ist in Persien eine andere: So gibt es zwar einen freien Platz (Ἐλευθέρα ἀγορά) in der Nähe der Regierungsgebäude, doch befindet sich dort kein Markt, um die Ruhe und Ordnung nicht zu stören. (4) Dieser zentrale Platz ist in vier Teile geteilt: jeweils einen für Kinder, Jugendliche, Männer und Alte, die zu unterschiedlichen Zeiten präsent sein müssen. Verheiratete haben gewisse Privilegien, was die zeitlichen Verpflichtungen angeht. (5) Pro Abschnitt sind zwölf Beamte zuständig (Ἄρχοντες), da es auch zwölf persische Stämme gibt. Jede der genannten Gruppen hat ihre eigenen Anführer. (6) In der Schule haben die Kinder (παῖδες) 'Gerechtigkeit' als Schulfach. Sie üben sich darin durch das tägliche Lösen von Gerechtigkeitsfragen, die durch die Erzieher gestellt werden. (7) Diejenigen, die Unrecht tun, aber auch die, die zu Unrecht anklagen, werden dabei zurechtgewiesen. Undankbarkeit ist justiziabel. (8) Die Kinder haben außerdem Selbstbeherrschung (σωφροσύνη) als Schulfach, die v.a. durch die Vorbildfunktion der Älteren vermittelt wird. Außerdem wird Gehorsam gegenüber der Obrigkeit und ein gewisses Maßhalten beim Essen und Trinken vermittelt. (9) Nun zu den Jugendlichen bzw. den jungen Erwachsenen (ἔφηβοι). Sie durchlaufen eine zehnjährige Ausbildung als Wachen und in vernünftigem Leben. Außerdem bilden sie die Jagdbegleitung des Königs. (10) Überhaupt stellt die Jagd ein eigenes Ausbildungsprinzip dar: Es geht um Abhärtung, Mut und Vorbereitung auf den Krieg. (11) Die erlegten Tiere dienen als Nahrung, sonst gibt es Brot und Kresse. (12) Die jungen Männer üben zu Hause v.a. Bogenschießen und Speerwerfen. Man übt sich in Wettkämpfen und übernimmt außerdem einige polizeiliche Aufgaben für die Regierung. Nach Ablauf der zehn Jahre gehören die jungen Leute dann zur Gruppe der erwachsenen Männer (τέλειοι ἄνδρες). (13) Zu dieser Gruppe gehört man dann 25 Jahre lang. Man übt Behördentätigkeiten (παρέχουσι ἑαυτοὺς ταῖς ἀρχαῖς χρῆσθαι) aus, im Kriegsfall ist man Soldat. Nach 25 Jahren (also etwa im ALter von 50 Jahren) gehört man dann zur Gruppe der Älteren (γεραίτεροι). (14) Diese 'Älteren' verlassen das Land nicht mehr, d.h. sie nehmen an keinen Kriegszügen mehr teil. Dafür pflegen sie die Rechtsprechung (z.B. über Leben und Tod) und wählen die Vertreter öffentlicher Ämter. Noch dazu üben sie die Aufsicht über die Jüngeren (und deren Gesetzesgehorsam) aus. (15) (Es folgen weitere Ausführungen zur persischen Verfassung/πολιτεία. So gibt es ca. 120.000 Perser. Die Ämter stehen grundsätzlich jedem offen. Die Kinder gehen in öffentliche Schulen, wenn sie nicht arbeiten müssen. Der Aufstieg in die jeweils nächsthöhere Gruppe, also die der 'Jugendlichen', 'Männer' oder 'Älteren', ist jeweils nur möglich, wenn das Verhalten zuvor tadellos war. Auf diese Weise glauben die Perser, die besten zu sein.) (16) Der beste Beweis für die maßvolle Lebensweise der Perser sind jedoch ihre Sitten: So gibt es kein öffentliches Urinieren, Spucken, Schneuzen oder Furzen: Die persische Kultur ist gewissermaßen Beleg für ihr maßvolles, gesundes Leben.



III Der junge Kyros am medischen Königshof bei seinem Großvater Astyages


(1) Kyros erhielt diese Ausbildung (s. II) bis zum Alter von 12 Jahren und war seinen Altersgenossen immer etwas voraus. Dies führte schließlich dazu, dass Kyros' Großvater Astyages, der König der Meder, seine Tochter Mandane, die Mutter des Kyros, und diesen selbst zu sich kommen lässt. (2) Dort angekommen umarmt Kyros den Astyages und offenbart damit seine freundliche Gesinnung. Es folgt die Beschreibung des Astyages, d.h. seines Make-ups, seiner Perücke und seiner Kleidung, was alles viel üppiger angelegt ist als bei den Persern und den jungen Kyros tief beeindruckt. Auf die Frage seiner Mutter, wen er denn schöner finde, seinen Großvater Astyages oder seinen Vater Kambyses, gibt Kyros die dipomatisch-kluge Antwort, der Vater sei der schönste Perser, der Großvater der schönste Meder. (3) Es folgen Geschenke durch den Großvater, u.a. ein Pferd, worüber sich Kyros außerordentlich freut, denn Pferde sind in Persien eher selten. (4) In einem Punkt jedoch ist Kyros mit den Gewohnheit der Meder, wie sie sich ihm darstellen, nicht einverstanden: Er kritisiert das reichhaltige Essen der Meder. (5) Es kommt zu einem Gespräch zwischen Kyros und Astyages über das üppige Essen der Meder und zu erneuter Kritik daran durch Kyros. (6) Astyages bittet Kyros, wenigstens das Fleisch zu essen. (7) Doch Kyros verteilt das Fleisch an die anwesenden Diener als Dank und zur Belohnung für ihren Unterricht, den sie ihm erteilt hätten. Nur den Mundschenk bedenkt er nicht. (8) Auf die Nachfrage des Astyages, warum sein Mundschenk Sakas (der zugleich die Funktion eines 'Büroleiters' einnimmt) nichts bekommt, stelllt Kyros die Gegenfrage, warum denn Mundschenk so angesehen sei. Astyages verweist auf das außerordentliche Geschick des Sakas. (9) Da übt Kyros das Mundschenkenamt bei Astyages aus, (10) hegt jedoch selbst eine Abneigung gegen Alkohol bzw. die aus übermäßigem Alkoholkonsum resultierenden Folgen. Das übertriebene Reden infolge von Trunkenheit (ἰσηγορία!) dient ihm als abschreckendes Beispiel. (11) Schließlich fragt ihn die Mutter, warum Kyros denn dem Sakas so zürne, und erhält als Antwort, dass jener ihn, Kyros, oft nicht zu Astyages vorlasse. (12) In der Folgezeit erfüllt Kyros seinem Großvater Astyages und seinem Onkel Kyaxares jeden Wunsch. (13) Dies führt schließlich dazu, dass Astyages seine Tochter Mandane bittet, Kyros doch bei ihm zu lassen, was Mandane zunächst ablehnt: Sie wolle nichts gegen den Willen des Kindes tun. (14) Daraufhin wendet sich Astyages direkt an Kyros und macht ihm folgende Angebote, wenn er bleiben wolle: Sakas solle keine Befugnisse mehr über Kyros haben, d.h. dieser solle in Zukunft ein uneingeschränktes Besuchsrecht haben. Außerdem könne er so viele Pferde haben, wie er wolle, werde nicht zu übermäßigem Essen gedrängt und könne nach Belieben im Tiergarten jagen. (15) Nun will Kyros tatsächlich bleiben, um sich im Reiten zu üben. (16) Auf die besorgte Frage der Mandane, wie er denn in Medien die Gerechtigkeit erlernen wolle, antwortet Kyros nur, dass er im Fach 'Gerechtigkeit' bereits gut unterrichtet sei (und nur einmal Schläge für ein Fehrvergehen erhalten habe). (17) Dann schildert er den betreffenen Fall, in dem es um Hemden gegangen war. Den Rest werde er, Kyros, sicherlich bei Astyages lernen. (18) Mandane gibt zu Bedenken, dass in Medien und Persien nicht identische Rechtsvorstellungen herrschten: Ihr Vater Astyages sei nämlich ein δεσπότης, bei den Persern gelte dagegen die Gerechtigkeit als oberstes Prinzip. Sie warnt ihn vor tyrannischem Verhalten, d.h. vor allem der Gier, immer mehr haben zu wollen als andere, worauf Kyros die hintersinnige Antwort gibt, dass sein Großvater Astyages doch gerade aufgrund seiner Position ein Meister darin sei, andere mit wenig zufrieden sein zu lassen!



IV Kyros' Entwicklung vom schüchternen Jungen zum wagemutigen Jugendlichen


(1) Mandane reiste schließlich zurück nach Persien und Kyros wuchs in Medien auf. Es entwickelte sich ein enges Verhältnis zu seinen Altersgenossen, zu deren (und deren Väter) Fürsprecher er bei seinem Großvater zunehmend wurde. (2) Er kümmerte sich intensiv um seinen Großvater, wenn es diesem einmal nicht gut ging und (3) entwickelte außerdem eine gewisse Redseligkeit: Er fragte viel und wusste viel. (4) Mit zunehmendem Alter redete Kyros jedoch weniger und wurde geradezu schüchtern. Er forderte seine Altersgenossen nun nur zu Wettkämpfen auf, wenn er wusste, dass er schwächer war. (5) Dadurch wurde Kyros in allen Disziplinen immer besser, v.a. in der Jagd, so dass der gesamte Tierpark des Astyages bald leergefegt war. Daher entstand bei Kyros der Wunsch, mit seinem Onkel auch 'draußen' jagen zu können. (6) Sein Verhältnis zum Großvater änderte sich nun mit zunehmendem Alter. Er ging seltener und nur noch dann zu diesem, wenn es diesem auch passte (was es gleichzeitig mit sich brachte, dass Kyros eine neue Hochachtung für Sakas, den 'Mundschenk' und 'Büroleiter' des Kyros, entwickelte, über dessen restriktive Handhabung der Besuche bei Astyages er sich zuvor beklagt hatte [s. III]). (7) Auf der Jagd fragte Kyros seine erfahrenen Begleiter in der Wildnis aus, v.a. nach den Gefahren durch einzelne Tiere. (8) Gegen den Willen seiner Begleiter erlegte er schließlich einen großen Hirsch sowie ein Wildschwein, das ihn angriff. (9) Die gesamte Beute wollte er anschließend dem Astyages zeigen. Kyaxares, sein Onkel, hatte zunächst Bedenken (aus Sorge, wegen Verletzung seiner Aufsichtspflicht von Astyages getadelt zu werden), willigte aber schließlich doch ein mit den programmatischen Worten: "Tu, was du willst, du benimmst dich schon jetzt wie unser König!" (10) Da präsentierte Kyros die Beute dem Astyages, der sich darüber freute, aber (wie von Kyaxares erahnt) auch auf die Gefahren hinwies, denen sich Kyros offensichtlich ausgesetzt hatte. (11) In der Folgezeit erzählte Kyros den Altersgenossen von der Jagd im Freien und sondierte, wer daran Interesse haben könnte, mit Erfolg. (12) Die anderen baten Kyros, hierfür bei Astyages die Erlaubnis einzuholen. Doch Kyros selbst hatte Bedenken, dies zu tun, weil er sich im Umgang mit dem Großvater nicht mehr so unbefangen fühlte wie als kleinerer Junge. (13) Schließlich entschloss sich Kyros doch, beim Großvater um die Erlaubnis für die Jagd für sich und seine Freunde zu bitten, doch er scheiterte und war über diesen Misserfolg sehr betrübt. (14) Seine Betrübnis war schließlich so offensichtlich, dass Astyages schließlich doch eine große Jagd für alle (auch die Jungen) veranstaltete, allerdings ohne Schießen, worüber sich wiederum Kyros sehr unzufrieden zeigte. (15) Da gab Astyages nach und das Treiben begann. Kyros tat sich groß hervor und motivierte auch die anderen. Selbst Astyages hatte nun seinen Spaß am Treiben und wollte in Zukunft weitere Jagdgesellschaften geben. (16) Als Kyros 15 oder 16 Jahre alt war, geschah folgendes: Sein assyrisches Pendant, der dortige Prinz, wollte gern im medisch-assyrischen Grenzgebiet jagen und traf dort auch mit einigem Gefolge ein. (17) Der assyrische Prinz wähnte sich in starker Begleitung (2 Wachmannschaften) und wollte so auch die Tiere aus Medien fort und auf assyrisches Gebiet treiben. Die medischen Grenzposten wurden in Schach gehalten und die Tiere auf medischer Seite gefangen. (18) Astyages hörte sogleich davon und machte sich mit seinem Sohn Kyaxares auf ins Grenzgebiet, wo es zu einem Zusammentreffen mit den assyrischen Truppen kam, die sich im Gefolge der Jagdgesellschaft befanden. Auch Kyros war (in voller Rüstung) auf medischer Seite dabei. (19) Er fragte seinen Großvater nach der assyrischen Streitmacht gegenüber und wollte sogleich die erbeuteten Tiere zurückholen, doch Astyages hatte Bedenken wegen der Menge der Assyrer. Kyros hielt dagegen und stellt fest, dass wenn man nichts unternehme, die eigenen Leute es in der vorliegenden Situation mit der Angst zu tun bekommen dürften. (20) Da gab Astyages nach und schickte Kyaxares mit einer kleinen Schar gegen die Wilddiebe vor. Kyros begleitete seinen Onkel und machte sogleich einige der Wilderer nieder. (21) Er griff aber auch die Flüchtigen an und tötete viele, was dazu führte, dass die eigentlichen assyrischen Truppen eingriffen und ihrerseits zum Angriff über gingen. (22) Doch davon ließ sich Kyros nicht abschrecken und trieb seinerseits die Assyrer in die Flucht. Kyaxares unterstützt ihn dabei, auch aus Scham vor Astyages. Dieser bekam es nun angesichts des sich entwickelnden Geschehens allmählich mit der Angst um Sohn und Enkel zu tun und ließ seinerseits mit dem Hauptheer der Meder zum Angriff blasen. (23) Die Assyrer waren vom aggressiven Vorgehen der Meder überrascht und ergriffen die Flucht. Da machten Kyros und Astyages viele Gefangene, töteten aber auch viele. (24) Astyages ließ schließlich zum Rückzug blasen, mit sich selbst im Unreinen, wie er mit seinem Enkel Kyros, wenn dieser vor ihn treten würde, begegnen sollte. Einerseits hatte er durch sein ungestümes und unerschrockendes Agieren den Sieg ermöglicht, andererseits hatte er sich aber auch in massive Gefahr gebracht. Und während der Großvater dies noch so mit sich bedachte, betrachtete Kyros derweil die Gefallenen auf dem Schlachtfeld. (25) Inzwischen hatte sich die Kunde von dem Geschehenen weit verbreitet. Kyros wurde allgemein gefeiert, auch sein Großvater war letztlich begeistert. Und auch Kyros Vater freute sich, holte Kyros aber auch nach Persien zurück. Kyros willigte selbst ein, um seinen Vater nicht zu verärgern und um beim (persischen) Volk keinen Tadel hervorzurufen. Astyages, sein Großvater, schließlich schenkte ihm Pferde, und alle gaben ihn zum Abschied zu Pferde und unter Tränen das Geleit. (26) Auch Kyros selbst trauerte und gab viele der Geschenke seines Großvaters, die für ihn bestimmt waren, an seine Freunde weiter, die diese wiederum dem Astyages, als Kyros bereits abgereist war, zurückgaben. Der Großvater wiederum ließ die Geschenke dem Kyros nachschicken, doch der bat seinerseits darum, sie denjenigen, denen er, Kyros, sie gegeben (weiter)gegeben hatte, zurückzugeben, was Astyages schließlich akzeptierte. (27) Zuletzt kam es noch zu einer 'Liebesgeschichte' zwischen Kyros und einem Verehrer am medischen Hof, der - nach persischer Sitte - um einen Kuss zum Abschied bat und diesen von Kyros auch mehrfach bekam.



V Kyros' Rückkehr nach Persien, ein drohender Krieg zwischen Medern und Assyrern und Kyros' Entsendung zur Unterstützung der Meder


1) Nach seiner Rückkehr aus Medien blieb Kyros ein Jahr lang in der Gruppe der Jugendlichen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten war er bei Altersgenossen auch ziemlich beliebt, weil er sowohl großzügig als auch überlegen war, was zur Folge hatte, dass sich ihm andere leicht unterordneten. Im Anschluss kam Kyros dann in die Gruppe der jungen Männer, wo er ebenfalls der beste war. Er zeichnete sich durch Pflichterfüllung, Ausdauer, Achtung gegenüber Alten sowie durch Gehorsam gegenüber Vorgesetzten aus. (2) Nach einer gewissen Zeit starb Astyages und Kyros' Onkel Kyaxares wurde König der Meder. Die Situation zwischen den Assyrern und den Medern (s. IV) spitzte sich derweil zu. So hatte der assyrische König Medien als zentralen strategischen Gegner ausgemacht, der seiner eigenen politischen Machtentfaltung in der Region im Wege stand. (3) Der Assyrerkönig schickte daher Boten an seine Untertanen (u.a. an Kroisos; eine interessante Variante zur Erzählung bei Herodot in dessen 1. Buch der Historien) und beginnt eine Kampagne, die sich sowohl gegen die Meder als auch die Perser richtete. (4) Kyaxares ergriff daraufhin Gegenmaßnahmen und ließ u.a. Boten an Kambyses, den Mann seiner Schwester, den König der Perser, sowie an Kyros schicken. Er ließ anfragen, ob sich nicht Kyros von den Persern als militärische Verstärkung entsenden lassen könnte, wo er doch bereits zur Gruppe der erwachsenen Männer gehörte. (5) Diesem Wunsch kam Kyros nach. Er ließ sich vom persischen Ältestenrat mit 1.000 Adligen sowie 30.000 Mann nach Medien entsenden. (6) Vor seiner Abreise hielt Kyros jedoch einen Gottesdienst ab und wählte seine Begleiter aus. (7) Es folgt eine Rede des Kyros an die von ihm ausgewählten Adligen, in der er betont, dass er sie deshalb ausgewählt hat, weil sie sich von Kindheit an an die Gesetze gehalten haben. (8) Die Vorfahren seien genauso gut wie sie gewesen und (9) Tüchtigkeit lohne sich, weil sie Vorteile bringe. Das gegenwärtige Versagen von Freuden (ἡδονῶν) sei nicht als Dauerzustand gedacht, sondern um spätere Freuden zu sichern. Als Analogie biete sich ein guter Redner an: Auch dieser wolle nicht ein Leben lang gute Reden halten, sondern möglichst viele beeinflussen (also effektiv sein). Gleiches gelte für die Kriegskunde: Auch diese übe man nicht aus, um ständig zu kämpfen (im Sinne eines Selbstzwecks), sondern um seinem Volk Vorteile zu verschaffen. (10) Gleichzeitig müsse man aber auch die Früchte seiner Anstrengungen ernten. (11) Für ihn, Kyros, und die Perser dieser Zeitpunkt der 'Ernte' nun da, ansonsten seien alle Mühen umsonst gewesen. (12) Anschließend lobt Kyros noch die anwesenden Perser, sie seien leidensfähig und ruhmbegierig. (13) Zudem habe er große Zuversicht in die Perser, da es immerhin um eine gerechte Sache gehe. (14) Er, Kyros, habe außerdem die Unterstützung der Götter erbeten. Alle sollten nun mit ihren Leuten losziehen, er selbst wolle erst zu seinem Vater Kambyses, dem König der Perser, und dann nachkommen.



VI Gespräch zwischen Kambyses und seinem Sohn Kyros


(1) Noch vor seinem Aufbruch nach Medien zur militärischen Unterstützung seines Onkels Kyaxares betete Kyros zu Hestia, Zeus und anderen Göttern und brach dann auf. Sein Vater Kambyses begleitete ihn zunächst. Dass es beim Aufbruch blitzte und donnerte, wurde von Kambyses als gutes Zeichen gedeutet. (2) Dann ergab sich ein Gespräch zwischen Kyros und Kambyses, in dem der Vater auf die erhaltenen positive Omina hinwies und darauf, dass er Kyros in der Deutung von Omina doch sorgfältig unterwiesen habe, damit er in solchen Dingen nicht auf die Hilfe anderer Deuter angewiesen sei. (3) Doch auch Kyros hatte sich nach eigenem Bekunden ständig um die Götter bemüht. Schließlich sei es wie bei den Menschen besser, ein gutes Verhältnis zu pflegen und nicht erst in Notfällen vorstellig zu werden, wie es auch für Freunde gelte - wie es ihm Kambyses seit jeher geraten habe. (4) Kambyses wiederholte in diesem Zusammenhang seinen Hinweis auf den Wert von Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit gegenüber den Göttern: dies biete schließlich Sicherheit. (5) Es kam die Frage auf, ob Kyros sich an die grundlegenden Prinzipien erinnere, also die Bedeutung des Wissens um die Gaben der Götter, an die Notwendigkeit von Aufmerksamkeit, rege Tätigkeit und den Grundsatz, erst um etwas zu bitten, wenn man selbst seine Hausaufgaben gemacht habe. (6) Kyros erinnerte sich: Ja, die eigenen Fähigkeiten und eigenes Engagement seien wichtig, erst dann solle man auch die Götter um Hilfe bitten. (7) Da fragte Kambyses nach, ob Kyros sich auch an das Wichtigste erinnere, was ein Mann zu leisten habe, nämlich die Schaffung von guten Lebensbedingungen für alle? (8) Kyros bejahte. Gutes Herrschen sei eine große Leistung. In vielen Fällen laufe es allerdings falsch: Bei den Meder z.B. glaube man, der Herrscher müsse mehr essen als die anderen, länger schlafen usw. Dies sei falsch! Der Herrscher müsse sich durch Fürsorge auszeichnen. Leute, die anders dächten und handelten, müsse man bekämpfen. (9) Da wies Kambyses auf die Schwierigkeit der Umstände hin und nahm den aktuellen Feldzug als Beispiel. Er fragte konkret nach, ob Kyros überprüft habe, dass Kyaxares tatsächlich über genügend Verpflegung für das Heer verfüge; die Verpflegung sei das A und O. Da gestand Kyros ein, dies nicht geprüft zu haben und fragte den Vater, ob er Möglichkeiten der Ausrüstung sehe, solange man noch auf persischem Gebiet sei. (10) Nun gab Kambyses praktische Hinweise zur Versorungssicherheit des Heeres: Kyros müsse das Heer selbst zur Verpflegungssicherheit einsetzen, und zwar zusammen mit Kyaxares; außerdem solle er (und das gelte generell) für Nachschub sorgen, solange noch kein Mangel da sei. (11) Kyros stimmte zu. Denn Soldaten und Menschen überhaupt freuten sich nicht über das, was sie regulär erhielten, sondern vor allem darüber, was 'extra' dazu komme. Wer also die Möglichkeit habe, Freunden zu helfen und Feinden zu schaden, solle dies tun. (12) Kyros erinnerte sich nun daran, dass Kambyses schon früher, während seiner, des Kyros, Erziehung, auf die Zusammenhänge zwischen einzelnen Fachgebieten hingewiesen habe: von Strategie, Ökonomie, Gesundheit, (13) außerdem auf die Bedeutung, Mut zu wecken, sowie Einsatzbereitschaft; er erinnerte sich daran, dass Kambyses auf die Bedeutung von Tricks und die Notwendig von Gehorsam hingewiesen hatte und (14) darauf, dass die Taktik nur ein kleiner Teil der gesamten Feldherrnkunst sei; Kambyses habe ihm bereits in der Vergangenheit, noch während seiner Erziehung, geraten, er, Kyros, solle zu erfahrenen Lehrern gehen. (15) Insofern könne er bestätigen, geprüft zu haben, ob Kyaxares alles in ausreichendem Maße bereitgestellt habe, er selbst habe zudem Ärzte eingestellt. (16) Kambyses bestätigte die Bedeutung von Ärzten (für das Heer); noch wichtiger sei aber, dass die Leute gar nicht erst krank würden. Dies wiederum setze gute Lagerplätze und eine gewisse Gesundheitsvorsorge voraus. (17) Kyros betonte, für sich selbst stets geprüft zu haben, nicht zu viel gegessen zu haben, woraufhin ihm Kambyses den allgemeineren Rat erteilt, ein Heer dürfe niemals untätig sein. (18) Kyros hat es verstanden: Er werde als Feldherr immer tätig bleiben und das Training nicht vernachlässigen (Kambyses vergleicht Soldaten mit Chören). (19) Kyros fügte dann noch hinzu, dass die beste Motivation wohl die Hoffnung auf Erfolg sei. Doch Kambyses widersprach: Es dürften stets nur Dinge in Aussicht gestellt werden, die auch tatsächlich erreicht werden könnten. (20) Kyros zeigte sich daraufhin zuversichtlich, im Heer Gehorsam durchzusetzen, da er selbst darin erfahren sei (schließlich habe er seinem Vater immer gehorcht). Da wies Kambyses darauf hin, dass Lob bei Gehorsam sinnvoll sei und Strafe bei Ungehorsam. (21) Noch besser sei allerdings der freiwillige Gehorsam, was v.a. in der Annahme eigenen Wohlergehens der Fall sei (wofür Ärzte, Kapitäne usw. die besten Beispiele seien: Auch ihnen würde man stets gehorchen): Voraussetzung für die Bereitschaft zum Gehorsam sei immer der Sachverstand desjenigen, dem man zu gehorchen habe. (22) Und der schnellste und leichteste Weg, als Sachverständiger zu gelten, sei, tatsächlich sachverständig zu sein! (23) Und das, was man nicht lernen könne, könne man, so Kambyses, mit Hilfe der Seherkunst von den Göttern erfahren. (24) Die Sympathien der Untergebenen wiederum erwerbe man am besten wie bei Freunden: als Wohltäter. Dies sei zwar nicht immer leicht, Empathie sei aber immer wichtig. (25) Außerdem müsse man gutes Vorbild sein und leistungsfähiger als die Untergebenen; die gleichen Anstrengungen seien für den Ranghöheren oft leichter zu ertragen als für den einfachen Soldaten. (26) Da nun fragte Kyros, ob man, wenn nun dies alles erfüllt sei, nicht alsbald angreifen solle. Kambyses antwortete, dass dies einerseits tatsächlich der Fall sei, andererseits könne es aber auch sinnvoll sein, seine Kräfte zunächst zu schonen. (27) Da stellte Kyros die weiterführende Frage, wie man am besten einen Vorteil gegenüber den Feinden erreichen könne, und Kambyses antwortete, man müsse schlau, verschlagen und betrügerisch, kurzum: ein Räuber sein, dabei aber auch gerecht und gesetzestreu. (28) Dies provozierte bei Kyros die Frage, warum dann in der Erziehung ganz andere Eigenschaften unterrichtet würden. Kambyses stellte daraufhin klar, dass man zwar gegen Mitbürger freundlich sein solle (und so erzogen werde), dass aber in Form von Jagd und militärischer Ausbildung auch im Bereich der Erziehung Wichtiges in Sachen Täuschung vermittelt werde. (29) Da erhob Kyros den nächsten Einwand, dass dies doch aber nur gegenüber Tieren gelte. Woraufhin Kambyses antwortet, dass dies einerseits zutreffe, andererseits aber auch stets für den Ernstfall gegen Menschen gedacht sei. (30) Dagegen erhob Kyros den Einwand, dass wenn die Fähigkeit zu täuschen sowohl gegenüber Tieren wie gegenüber Menschen wichtig sei, sie auch in Hinsicht auf beide Anwendungsmöglichkeiten hätte geübt werden sollen. (31) Doch Kambyses verwies auf ein Beispiel in der Vergangenheit, wo genau dies versucht worden sei. (32) Da hatte ein Lehrer den Jungen auch beibringen müssen, ihre Fähigkeiten gegeneinander anzuwenden, so wie bei den Griechen im Kontext der Wettkampfspiele; doch einige der Jungen hätten ihre Fähigkeiten auch gegen ihre Freunde angewendet, (33) weshalb heutzutage die Bestimmung gelte, dass die Jungen die Wahrheit sagen und nicht betrügen sollten. (34) Erst in dem Alter, das Kyros jetzt habe, sei es angebracht, auch das Verhalten gegenüber den Feinden einzuüben, wenn also die richtigen Grundlagen bereits gelegt und das richtige Verhalten eingeübt sei, so wie man auch über Sexualität erst ab einem gewissen Alter spreche. (35) Dann erfolgten die konkreten Ratschläge des Kambyses: Feinde könne man überraschen, wenn man selbst die Feinde sehe, ohne selbst gesehen zu werden; Bodenvorteile solle man sichern (36) und außerdem stets bedenken, dass sich die Feinde in derselben Situation wie man selbst befänden. Wenn sich also gute Gelegenheiten ergäben, müsse man handeln. (37) Zudem müsse man Feinde immer in Sicherheit wiegen, nur dann könne man sie gut überrumpeln, u.U. auch durch das Locken in schlechtes Gelände. (38) Man müsse kreativ sein, so wie auch Musiker ständig neue Dinge erfinden müssten. (39) Kyros solle daher die Dinge anwenden, die er früher als Kind in Bezug auf Tiere gelernt habe! (40) Und dann erinnerte der Vater Kambyses den Sohn Kyros an dessen Geschickt bei der Hasenjagd. (41) Unter Anwendung solcher Listen sei der Erfolg garantiert. Und wenn es tatsächlich einmal zur Feldschlacht zwischen gleich starken Gegnern kommen sollte, würde immer der gewinnen, der besser trainiert sei. 42) Wer Gehorsam verlange, müsse immer im Voraus planen und sich ein 'Programm' für seine Untergebenen ausdenken. (43) Alles weitere wisse Kyros selbst, d.h. er habe das gesamte notwendige militärische 'Fachwissen'. (Es folgen Beispiele). (44) Das Wichtigste fügte Kambyses noch zum Schluss an: Man solle nicht im Widerspruch zu Opfern und Vogelzeichen handeln. (45) Und aus der Geschichte könne man zumindest lernen, nicht auf falsche Berater zu hören, nicht Freunde zu Feinden zu machen und genügsam zu sein. (46) Nur die Götter wüssten, was zu tun sei, und sie würden demjenigen helfen, dem sie gnädig sind, den anderen jedoch nicht.



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